Traumasensibles Yoga (TSY) – ein spiritueller Weg zu sich selbst [Artikel im Magazin Lebens-t-räume]

Artikel im Magazin Lebens-t-räume Oktober 2024

Häufig hören wir von Menschen, die zu uns finden, dass sie sich entfremdet fühlen – von sich selbst, von anderen, ihrem Leben. Sie möchten mehr bei sich sein. Wirkliches Dasein ist eine tiefe spirituelle Erfahrung, die alles so wie es ist da sein lässt. Diese Selbst-Begegnung schafft eine tiefe Verbindung. Es sind Erfahrungen, die über das eigene Individuum hinausgehen, die eine Verbundenheit mit allem was ist ermöglichen können.

Wir die AutorInnen (Angela Dunemann und Joachim Pfahl) begleiten seit Jahrzehnten Menschen mit schwersten traumatischen Erfahrungen.

Wenn das eigene Leben plötzlich durch ein unerwartetes Ereignis aus den Fugen gerät, ist nichts wie es vorher war. Der Zugang zu den bisher zur Verfügung stehenden Ressourcen ist versperrt. Wenn das Leben vielleicht seit frühester Kindheit von Gewalt und Unsicherheit überschattet war, hinterlässt das Spuren.

Wie kann Yoga und Meditation zu einem festen Anker und einem Leuchtturm werden, dem eigenen Leben wieder einen Sinn geben zu können? Gerade in Zeiten, wenn scheinbar nichts mehr geht, kann die Einladung nichts machen, nichts verändern, sich nicht mehr anstrengen zu müssen ein Aufatmen und Erleichterung bedeuten.

Dazu fällt mir, (AD) die Erfahrung einer Kollegin ein, die ich hier zitieren möchte:

„Ich bin aus einer eigenen Situation heraus zu diesem TSY Thema gekommen. Kurz zusammen gefasst: Ich hatte im letzten Jahr einen schweren Unfall. In den Tagen im Krankenhaus brachte mein Mann mir die Yoga-Zeitschrift mit, weil sie in der Post war. Als er gegangen war, wollte ich die Illustrierte weg legen und warf sie unters Bett. Dort schlug eine Seite auf. In großen Buchstaben las ich: Als ich Yoga nicht mehr praktizieren konnte, habe ich Yoga verstanden…

Ein paar Wochen später nahm ich mutig am online Yoga bei Angela teil. Ich ließ den Bildschirm aus, da ich kaum bzw. gar nicht aktiv teilnehmen konnte. In einem Nachgespräch empfahl mir Angela, unbedingt weiterhin teilzunehmen und mental in die Übungen zu gehen. Alles was praktisch machbar ist, gerne mitmachen und alles andere aktiv im Geiste durchführen.

In der folgenden Zeit ging es mir dienstags um 10.30 Uhr am besten.

Glücklicherweise konnte ich in der fortschreitenden Zeit körperlich aktiv immer mehr mitmachen. Es war ein großer, wichtiger Schritt in meinem Genesungsprozess.“1

Im TSY geht es um das Wieder-Entdecken der Spürfähigkeit. Sich nicht zu spüren ist für viele traumatisierte Menschen wie ein Notfallprogramm, um mit dem Schmerz, dem Schrecken und dem Schock weiterleben zu können.

Schutz- und Abwehrreaktionen haben in der Vergangenheit das Überleben gesichert und somit eine im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtige Funktion übernommen. Zum Problem werden sie jedoch dann, wenn sie bis in die Gegenwart hineinwirken, der Körper sozusagen in der Vergangenheit festfriert.

In diesem Fall führen sie zu Reaktionen, die auch auf körperlicher Ebene stark spürbar und für die Betroffenen häufig sehr belastend sind – nicht zuletzt deshalb, weil sich die beschriebenen Vorgänge nicht kognitiv steuern lassen, sondern unwillkürlich ablaufen. Dies verstärkt das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Hinter derartigen Reaktionen stehen Mechanismen, die in den evolutionär ältesten Strukturen unseres Gehirns angelegt sind. Seit Urzeiten unterscheidet das Autonome Nervensystem im Erleben blitzschnell, ob es sich in einem bestimmten Moment um eine sichere, eine gefährliche oder eine lebensbedrohliche Situation handelt. Das löst unmittelbar Reaktionen aus. Diese reichen von tiefer Entspannung und dem Gefühl der Verbundenheit über Kampf- und Fluchtverhalten bis hin zu Dekompensation, Hilflosigkeit und Erstarrung. Verbunden damit sind physische Symptome wie Herzrasen, Druck im Kopf und Schweißausbrüche oder auch ein plötzliches Gefühl der Schwäche oder Lähmung. Wie aus dem Nichts tauchen zudem mächtige Emotionen auf, etwa Wut, Ärger, Ekel, Abscheu oder Verzweiflung.

Drei zentrale Aspekte im TSY sind:  Achtsame Präsenz, ein schwingungsfähiges Autonomes Nervensystems und die Erfahrung von Mühelosigkeit. Die Verbindung zu sich selbst ist die Essenz im Yoga. In sicherer Begleitung wird dazu eingeladen, im Kontakt zu sein mit allem, was im momentanen Erleben präsent ist – Gefühle, Körperempfindungen, Gedanken, Verhaltensmuster. Im TSY verstehen wir die Präsenz als heilsame Basis für neue Erfahrungen, Integration- und Verarbeitungsprozesse und nicht zuletzt für die Entwicklung von Selbstwirksamkeit.

Der Umgang mit Trigger-Situationen ist dabei von elementarer Bedeutung. Dadurch können die Prozesse und Zustände des Autonomen Nervensystems besser unterschieden und im Körper gespürt werden. Die an die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden adaptierten Yoga- Atem- und Meditationsübungen sowie die begleitende Person öffnen einen Raum, diesen Kontakt herzustellen und ihn (z.B. in dem Spüren eines Schmerzes) zu halten. Über das Erfahren von Präsenz wird Sicherheit hergestellt und überschießende Reaktionen können reguliert und nachhaltig verändert werden.

Wie oft erschweren oder verhindern Emotionen, Gedanken, innere Bilder und Körperphänomene das Erleben einer solchen Gegenwärtigkeit?

Der Zugang zu den eigenen Potentialen und Ressourcen scheint blockiert. Gleichzeitig existiert in vielen Menschen die Annahme, es sei hilfreich, Gefühle, Gedanken und den Körper zu kontrollieren, um sich stattdessen auf das, was erreicht werden möchte, (eine Prüfung, ein Projekt, oder auch Zustände wie z.B. innere Ruhe) zu konzentrieren. „Wenn ich mich nur genug anstrenge, dann wird es funktionieren.“

Die Erfahrung lehrt, das genau dieser Weg der Anstrengung in die Sackgasse führt.

Der Schlüssel, um tiefe Verbundenheit zu erfahren ist die Mühelosigkeit. TSY lädt dazu ein, in allen Körper- und Atemübungen diese Mühelosigkeit zu entdecken.

Traumasensibles Yoga findet sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting statt und wirkt in die verschiedensten Institutionen hinein (z.B. Gefängnisse, Flüchtlingsunterkünfte, Heimerziehung, Senioreneinrichtungen, Schulen, Kliniken, Psychiatrien usw.)

1 s. Dunemann, Weiser, Pfahl Traumasensibles Yoga, S. 8ff

Angela Dunemann

Angela Dunemann, Dipl. Sozialpädagogin, HP Psychotherapie, Yogalehrerin, Trauma-Yogatherapeutin (TSY), langjährige Tätigkeit im Albert-Schweitzer-Kinderdorf Wetzlar, Mitbegründerin der Gesellschaften Institut für Yoga und Gesundheit, Mandala in Wetzlar und TSY Traumasensibles Yoga – Dunemann, Weiser, Pfahl GbR, www.traumasensiblesyoga.de

Joachim Pfahl, Bachelor of Science (MERU); Yogalehrer, Trauma-Yoga-Therapeut (TSY), Meditationslehrer und Coach mit 40-jähriger Yogapraxis und internationaler Lehrerfahrung in Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen unter anderem in Indien, Thailand, und Europa. http://www.yoga-und-meditation.com; Mitbegründer der Gesellschaft TSY Traumasensibles Yoga – Dunemann, Weiser, Pfahl GbR, www.traumasensiblesyoga.de

 

Bücher :  Dunemann, Weiser Yoga in der Traumatherapie 2010, Dunemann, Weiser, Pfahl Traumasensibles Yoga 2017/2023, 4. vollständig überarbeitete Auflage sowie Traumasensibles Yoga – 34 Übungskarten Frühjahr 21 alle bei Klett-Cotta Leben lernen, Joachim Pfahl, Daniela Pickhardt „Der Kern des Yoga bin ich selbst“ Tredition GmbH

 

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